Die beliebtesten Standardfragen an herkömmliche Schauspieler ...
An dieser Stelle möchte ich mal Stellung nehmen zu den immer wiederkehrenden Standardfragen, die Menschen gerne fragen, sobald sie erfahren, dass man Schauspieler ist. Ich habe sie in vielen Gesprächen gesammelt und auch durchlitten. Diese Sammlung wird ständig erweitert. Die folgenden Fragen kommen immer wieder und es wird Zeit, daß sie ein für allemal fachkundig, ernsthaft und höchst subjektiv beantwortet werden...“Herrgott, warum spielen sie es nicht historisch korrekt in alten Kostümen?”
Dieser Stoßseufzer gehört auf Platz eins - von 10 Befragenden fragen das etwa 8 Zuschauer. Meine Gegenfrage: Warum sollte man aus dem Stück etwas anderes machen, als es damals war? Wie bitte? Ja, richtig gehört! Die Autoren alter Stücke schrieben ja aus ihrer Zeit heraus - und waren damals aktuell! Schillers äuber ist so ein Beispiel - und das sind sie auch heute noch, denn Wut, Freude, Hass, Liebe, Trauer - die ganze Emotionspalette hat sich ja zum Glück nicht verflüchtig. Allerdings sind die Anlässe heute oft andere: Wenn damals in einem Stück eine unverheiratete Jungfrau ein Kind bekam, waren alle empört. Soetwas können wir heute nur noch faktisch nachvollziehen, da wir diese Moralvorstellungen so nicht mehr haben.
Also muß man eine Übertragung auf heutige Anlässe finden, die dem von früher ähneln, als das Stück aktuell war um diese Empörung auch heute vor allem emotional wieder erfahrbar zu machen - etwa wenn diese Jungfrau als Nutte auf die Bühne käme, halbnackt im Minirock, mit originalem Shakespearetext - würde wir ähnlich auf sie herabsehen, wie Zuschauerkollegen vor 400 Jahren - wenn wir nicht so eine Angst davor hätten, daß die Jungfrau anders aussieht "als Shakespeare es gemeint hat" (Siehe dazu auch Frage 2). Eine GUTE moderne Inszenierung schafft also eine Übertragung, die uns die Probleme der Figuren wieder erfahrbar macht (und nicht nur denkbar, wenn wir vorher etwas über unverheiratete Frauen im 17ten Jahrhundert gelesen haben ...) wie damals, als das Stück aktuell war. Als z.B. Shakespeare seine Stücke schrieb, nahm er oft alte oder sogar antike Stoffe und übersetzte sie ebenfalls (im doppelten Sinne) in seine Zeit! Das machten übrigens viele Autoren sogenannter Klassiker. Shakespeare hat seine Figuren seinerseits ja auch nicht in Bettlaken gesteckt, um die griechischen Stoffe eines seiner Stücke korrekt zu zeigen - er übertrug Geschichte, Anlässe und Kostüme auf seine Zeit!
Der Gedanke dahinter: Theater ist einfach mehr als eine Vorführstätte historischer Begebenheiten, die man sich bequem von außen betrachten kann - es kann eine emotionale Bildungsanstalt sein. Wie beschnitten wäre es, wenn man auf der Bühne Menschen aus entfernten Jahrhunderten zusieht, die Probleme haben, die wir vor lauter Tüll und Samt nicht sehen können, weil wir immer denken "Mann, der ist, glaube ich, wütend - warum eigentlich? Aber schöner Samtwams!".
Wenn man eine Geschichte NUR historisch sehen will, kann man einen Kostümfilm ansehen, der ist genauer und umfassender in seinen darstellenden Möglichkeiten! "Warum spielen Sie es nicht so, wie der Autor es geschrieben hat?"
Tja, wie hat er es denn geschrieben? Ist es denn so, wie wir es lesen? Oder liest es jeder anders? Wie ist es? Ein paar Anweisungen "XY geht von links nach rechts" und eine Menge gesprochener Worte. Vieles ist aber nicht niedergeschrieben, es ist ja schließlich kein Drehbuch, sondern ein Stück - sollen wir an diesen Stellen, wo nichts beschrieben ist, eine Pause machen?
Die gesprochenen Worte sind noch schwerer zu fassen: Da geht der Streit schon los, "aber er meint es doch so", "aber da ist er doch desswegen wütend"! Um es also spielen zu können, muß man also eine Art und Weise finden, wie man es zeigen will, eine Interpretation. Allen voran die des Regisseurs - zusammen mit der des Bühnenbildners, der Kostümbildners und der Schauspieler. Man kann eben nur eine Lesart zeigen - die des Ensembles. Die sich herausgebildet hat, nachdem viele Menschen sich sechs Wochen mit dem Stück beschäftigt haben - und nicht es nur alleine gelesen haben. Die Frage oben sollte also eigentlich heißen "Warum spielen Sie es nicht so, wie ich es gelesen habe?" “Ist das nicht wahnsinnig schwer, soviel Text auswendig zu lernen? Wie merkt man sich den?”
Diese Frage ist verständlich und traurig zugleich. Es sieht so aus, als würde der Fragende denken, dass das Textauswenig lernen die schwierigste Arbeit des Schauspielers sei.
Dem ist nicht so - Text lernen ist ein winziger vorbereitender Teil. Der kann anstrengend und schwierig sein - ist aber dennoch nur eine Basisarbeit. Einen Bäcker würde man doch auch nicht fragen, ob es schwer sei, das Mehl zu kaufen. Viel wichtiger ist die Teigzubereitung - im Theater eben die Vorbereitungs- und Probenarbeit. Da setzt sich man sich körperlich, psychisch und emotional mit einem beschriebenen Figur auseinander und versucht sich ihr anzunähern.
Wer es dennoch technisch wissen will: Auswendiglernen für die Bühne ist anders als das Gedicht auswendig lernen in der Schule damals. Bei mir verknüpfen sich bei der Probenarbeit im Hirn der Text, die Situation, der Ort an dem man steht und die Gefühle zu einer recht hohen Eindeutigkeit, an welchem Ort welcher Text (und welches Gefühl etc) kommen muß. Jeder lernt natürlich unterschiedlich (und auch unterschiedlich leicht)t auswendig - aber der Körper merkt sich all diese Faktoren und so spüre ich an welcher Stelle was kommen muß. “So ein Job hätte ich auch gerne - Abends mal zwei Stunden arbeiten und sonst frei!”
Ein Problem, das auch Tageschau-Sprecher haben: Wahrgenommen wird nur, was nach außen zu sehen ist - die Vorstellungen. Natürlich muß man diese erst mal proben. Das tut man bei einer größeren Rolle 7-8 Stunden am Tag, bis in die Nacht hinein (es sei denn, es ist Vorstellung), 6 Tage die Woche. So kommt man bei voller Auslastung auf etwa 39 Stunden/Woche. Dazu kommt natürlich das Textlernen (noch mal 1 bis 20 Stunden, war bei mir im Zauberberg so), evtuelle Anproben und Maskentermine etc. Dann gibt es natürlich auch Zeiten, in denen man weniger pro Woche arbeiten muß - z.B. wenn man eine Nebenrolle hat, die nicht so oft geprobt wird. Sehr unterschiedliche Arbeitszeiten also. “Wie viel Monate oder Jahre haben Sie an diesem Stück geprobt?”
In solchen Zeiträumen arbeitet man eher am Laientheater, da die Menschen noch nebenbei arbeiten müssen. Da Theaterspielen aber unsere Arbeit ist, arbeitet ein Schauspieler an einem Stück etwa 5-6 Wochen. Von der ersten Konzeptions- und Leseprobe, bis hin zur Premiere.“Suchen Sie sich die Rollen selber aus?”
Schön wärs - die Rollen werden von der Intendanz über das Künstlerische Betriebsbüro (KBB) in Absprache mit dem jeweiligen Regisseur zugeteilt. Normalerweise hat der Schauspieler dabei kein Mitspracherecht. (vielleicht auch ganz gut so) “Ach, Sie sind Schauspieler? - Wann sieht man Sie denn mal im Fernsehen?”
Nicht jeder Schauspieler ist zwingend ein TV-Gesicht. Natürlich wird der Schaupieler an sich hauptsächlich im Fernsehen wahrgenommen, weil das jeder sehen kann, ohne seinen Hintern zu bewegen. Daraus aber zu schließen, daß alle Schauspieler Fernsehen und Filme machen würden, mehr noch, daß der Schaupielerberuf durch TV definiert zu sein scheint, ist schlichtweg falsch: Es gibt immerhin noch Theater, sicherlich eine nicht so omnipräsente Einrichtung wie die Glotze - und natürlich viele andere Aufgaben, wie Moderation, Hörspiel, Synchronisation etc. Der Schauspielerberuf ist also viel mehr als nur Fernsehen. “Du bist Schauspieler? Mach doch mal was!”
Ein Alptraum! Nur weil man Schauspieler ist, soll man ständig "was machen" - aber was? Mal kurz Hamlet spielen? Um etwas "zu machen" ist nämlich 'ne Menge nötig: Zumindest einmal die Konzentration der Zuschauer,möglichst auch ein ruhiger Raum, Licht, Kulissen - alles, um eine gewisse Situation zu erschaffen. Das geht nicht zu Hause auf dem Wohnzimmerteppich (und mutet dort sicherlich sehr seltsam an). "Was machen" soll wahrscheinlich bedeuten, mal kurz was lustiges zu singen, vorzuspielen etc. Aber mal ehrlich - würde man einem Santitärfachmann auf einer Party sagen "Du bist Klempner? Reparier doch kurz mal was!". Ja, Schauspieler haben mit Unterhaltung zu tun - aber bitte nicht überall und jederzeit. Wir sind auch nur Menschen! “Schauspieler, aha - na, verdienste gut, was?”
Jaja, immer wieder: Hier werden wieder Filmschauspieler mit Theaterschauspielern (falls als Spezies bekannt) verwechselt. Es ist wahr, daß man beim Film viel verdienen KANN - wenn man genug Castings bekommt (also irgendwie schon bekannt ist), um in genügend Filmen mitspielen zu können und somit fast hauptberuflich drehen kann (am besten Kinofilme). Es ist aber leider auch wahr, daß die frei verhandelbare Mindest-Anfängergage des Schaupielers am Theater noch vor 2 Jahren bei 1300 EUR lag und inzwischen auch nur auf 1550 EUR gestiegen ist, wovon etwa 1000 EUR Netto bleiben. Der Verdienst wächst auch in den nächsten "Dienstjahren" nicht viel. Nicht gerade das, was ich mir unter wirklich gut verdienen vorstelle! Aber des Geldes wegen sollte man sowieso nicht Theaterschauspieler werden.“Ich war im Theater und der Darsteller hat mich die ganze Zeit von der Bühne aus so lieb angesehen! Ist er in mich verliebt?”
Ich muß mit einer großen (und verbreiteten) Hoffnung aufräumen: Wenn Schauspieler während einer Aufführung von der Bühne sehen, sehen sie meist ins Ungefähre hinein - sie sehen das Publikum meist verschwommen als (hoffentlich) große Gruppe. Irgendwohin müssen sie ja hinsehen, wenn sie nach vorne spielen. Wenn sie dann noch lange auf eine Stelle (also einen Zuschauer) starren, könnte man den Eindruck haben, man ist persönlich gemeint. Vor allem, wenn der Hauptdarsteller gerade intensivst zusammenbricht und seine letzte Liebeserklärung nach vorne haucht, hofft manche Frau: “Er hat nur mich angesehen, das kann doch kein Zufall sein - Er meint mich!...“
Ehrlich gesagt, dieses Gefühl hatten Menschen früher auch vor den Fernsehgeräten, wenn Dagmar Berghoff in ihrem Wohnzimmer die “Tagesschau” verlas. Darin zeigt sich der Irrwitz.
Ich muß auch sagen, dass wir oben auf der Bühne meist mit etwas anderem beschäftigt sind, als mit bestimmten Zuschauer(inne)n Kontakt aufzunehmen: Nämlich, das Stück zu spielen. Dabei spielen wir natürlich nach vorne, weil da die sitzen, die dafür bezahlt haben - das Publikum. Aber das, was wir sagen, spielen wir nur und die Blicke (sind sie auch noch so lieb nur auf einen Punkt gerichtet), sind trainiert und Teil der Inszenierung - tut mir leid für alle jungen Damen, die sich mehr erhoffen!
Was wahr ist: Wir können von der Bühne aus (je nach Beleuchtung) die ersten zwei, drei Stuhlreihen sehen. Wir sehen also, wenn einer gelangweilt mit seinem Handy spielt...! Wir sehen, wenn ihr gähnt! Wenn ihr im Programmheft lest, statt uns zuzusehen! Wir sehen vielleicht auch ein zweites Mal hin, wenn uns jemand bekannt vorkommt. Aber eine echte Interaktion findet nur statt, wenn sie ein Teil der Inszenierung ist , wie z.B. bei Macbeth. Doch dann wird auch sehr offensiv mit dem Publikum gespielt - glaubt mir. Und auch das ist seltenst von persönlichen Gefühlen des Schauspielers getragen, sondern eben Teil des Abends.
Schön an diesem Gefühl des “Gemeint-seins” ist allerdings, dass Theater eben doch vom Moment lebt und Gefühle übertragen kann - auch wenn es vorgespielte sind. Weiter Standardfragen in bälde. Bis dahin!