Possenhafte Blüten der Liebe

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Der Mensch ist gut,
nur die Leut´ sind schlecht.

Johann Nepomuk Nestroy
Gemeinsamer Haß bringt Menschen
näher zueinander als Liebe, Freundschaft und Respekt.

Anton Tschechow



Wo bei Nestroy und Tschechow die Liebe hinfällt, treibt sie zuweilen possenhafte Blüten und deshalb amüsierte sich unser Publikum auch köstlich bei unserem Freilicht-Sommertheater. Ausgewählt hatten wir Tschechows stimmungsgeladene Kurzgeschichten „Der Bär“ und „Der Heiratsantrag“ sowie Nestroys komödiantischen Verwechslungsreigen „Frühere Verhältnisse“ zur Aufführung.


Wie schnell einen die eigene Vergangenheit einholen kann, davon erzählt der österreichische Komödiendichter Johann Nepomuk Nestroy in seiner Biedermeier-Lokalposse „Frühere Verhältnisse“. Wenn zwei Frauen und zwei Männer unterschiedlicher Herkünfte mehr oder weniger freiwillig an einem Lügenkonstrukt mitwirken, dauert es nicht lange, bis es unter der Last von Missverständnissen und Verwechslungen zusammenbricht. Witzig und wortgewandt führt Nestroy hier dem Publikum eine gesellschaftliche Welt zwischen Sein und Schein vor.

Was Imponiergehabe zwischen den Geschlechtern anrichten kann, davon weiß auch der russische Meister der kleinen Erzählform, Anton Tschechow (1860-1904), zu erzählen. Doch weder der impulsive Schlagabtausch zwischen einer Gutsherrntochter und dem Nachbarssohn, noch das heraufbeschwörende Pistolenduell zwischen einer Witwe und ihrem Gläubiger können Amor daran hindern, seines Amtes zu walten.

Ein kleiner Blick ins Biedermeier…

Jahrhundertelang hatten die Dinge ihre feste Ordnung: König, Adel, ein paar Handwerker, Kaufleute und Bankiers, ein paar Gelehrte und viele Bauern… nun aber geriet alles ins Wanken. Das Bürgertum tritt ins Rampenlicht der europäischen Bühne! Das Bürgertum ist die kommende Macht, das Bürgertum ist Ungeahntes zu leisten imstande! Wer die Bürger sind? Oh, da gibt es deutliche Grenzen! Wohletablierte, tüchtige Handwerksmeister gehören dazu, aber kaum irgendein elender Winkelschuhmacher. Kaufleute gehören dazu, Fabrikanten und Unternehmer, Akademiker, Beamte, Angestellte, Künstler…
Und rasch entwickeln sich gegenseitige Verachtung, z.B. zwischen Adligen und Bürgertum, und Animositäten. Wirtschaftsbürgertum und Bildungsbürgertum sind sich nicht allzu grün. Heiratsverbindungen zwischen beiden Gruppen kamen durchaus desöfteren vor, waren aber eher nicht die Regel… - vielleicht aus gutem Grund?


Wir erkennen in den Stücken einen denkwürdigen kritischen Blick auf Beziehungen zwischen den Menschen. Menschen geben vor, jemand zu sein, der er nicht ist, geben an mit dem, was sie besitzen – aus Angst nicht angenommen, nicht geliebt zu werden, aus Angst zu verlieren. Oder sie gehen eine Bindung aus Angst vor Vereinsamung ein So sind es die alten Erzählungen, die uns auch heute noch mit auf den Weg geben, worauf es in der Liebe ankommt….

ANTON TSCHECHOW
(1860 - 1904)
„[Er] begründete als einer der bedeutendsten russischen Schriftsteller nicht nur die moderne Dramatik seines Heimatlandes, sondern steht am Beginn aller dramatischen Dichtung des 20. Jahrhunderts. Sein psychologischer Realismus, seine neuartige Dialogkunst des Aneinandervorbeisprechens fanden zahlreiche Nachfolger. Tschechows Maxime war im Leben wie in der Kunst die Wahrheit. Seine Lebensauffassung schlug sich, mehr noch als in seinen zahlreichen Erzählungen, in seinen großen Dramen nieder. Sie leben weniger von der Handlung als vom Wort, von der Stimmung und vom subtilen Arrangement der Dialoge. Der Dramatiker selbst bezeichnete seine Schauspiele als Komödien, wobei sich der humoristische Aspekt seiner Dramenfiguren aus dem Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit, von Sehnsüchten und Realität ergibt.“*

JOHANN NEPOMUK NESTROY (1801 - 1862)
„[Er] ist der typische und gleichzeitig populärste Vertreter des Wiener Volkstheaters im 19. Jahrhundert. […] Mit seinen satirischen und sozialkritischen »Possen mit Gesang« schuf er eine neue Form des Volksstücks, dessen Handlung er meist ausländischen Vorlagen entnahm und ins Milieu des Wiener Kleinbürgertums verlegte. Mit beißendem Spott, hinreißenden Couplets und virtuoser Sprachkunst, die bis zu aberwitzigen Wortschöpfungen und der parodistischen Verwendung von Fachsprachen reicht, geißelt er in seinen Bühnenwerken allgemein menschliche Schwächen und Fehler sowie die sozialen und politischen Verhältnisse der Biedermeierzeit, was ihn ständig mit der Zensur in Konflikt brachte. […]“*.



* Harenberg Schauspielführer, Dortmund 20033, S. 768f und 1137f.