Kurze dramatische Texte

2006
Gekürzte und leicht adaptierte Fassung des Einakters "Batyscaphe 17-26 oder die Hölle ist oben" nach Wolfgang Bauer

2004-2005

Inszenierte Texte von Charms innerhalb der Produktion "Evstigneev lacht":

"Ohne Titel"
"Evstigneev lacht"
"Der Fall meiner Frau"
"Theaterstück" (Schaschkin-Monolog)
"Leitartikel" (Kinder und Leichen)


2003-2004

HERZSTÜCK
Von Heiner Müller


EINS: Darf ich Ihnen mein Herz zu Füßen legen.

ZWEI: Wenn Sie mir meinen Fußboden nicht schmutzig machen.

EINS: Mein Herz ist rein.

ZWEI: Das werden wir ja sehen.

EINS: Ich kriege es nicht heraus.

ZWEI: Wollen Sie daß ich Ihnen helfe.

EINS: Wenn es Ihnen nichts ausmacht.

ZWEI: Es ist mir ein Vergnügen. Ich kriege es auch nicht

heraus.

EINS heult

ZWEI: Ich werde es Ihnen herausoperieren. Wozu habe ich ein

Taschenmesser. Das werden wir gleich haben. Arbeiten und

nicht verzweifeln. So, das hätten wir. Aber das ist ja

ein Ziegelstein. Ihr Herz ist ein Ziegelstein.

EINS: Aber es schlägt nur für Sie.


DAS GANZE DRAMA
Für Dich
VON ARMIN PETRAS

A: ich habe mich oft gefragt wer du wirklich bist.
B: das ist eine lustige frage. ich weiß nicht, wirklich wer ich bin, ich bin ein fehler mit etwas drumherum.
A: du bist ein schauspieler, stimmt das?
B: ja, warum?
A: was ist der unterschied zwischen leben und spielen?
B: im leben muss man nicht spielen und beim spielen muss man nicht leben.
A: und was ist mit dem theater - glaubst du, das du existierst oder bist du nur ein körper der fremde worte ausstößt?
B: nein, ich spiele nie, aber ich mache die erste hälfte vom spielen, ich träume. ich stelle mir vor, der mond ist ein silberner pool, in den ich eintauchen kann. und dann lege ich mich auf den rücken und höre die kleine grüne pflanze in mir wachsen.
A: welche pflanze?
B: die liebe, was sonst.
A: ich möchte ein kind. ja. ich glaube schon.
B: ich habe eine sehr schöne stimme, ich weiß.
A: wenn ich eine geburtsurkunde hätte, könnten wir heiraten.
B: du hast noch den abdruck der tischkante auf deinen schenkeln.
A: dann wird noch etwas bleiben von uns.
B: im all ist es nicht so kalt wie man denkt. es sind genau genommen 3 grad, allerdings kelvin, auch nicht gerade warm.
A: nachdem ich dich getötet haben werde, schneide ich deine brust auf, ich werde es herausreißen und es bluten lassen und dann werde ich deinen namen auf die tapete schreiben, mit deinem blut und du wirst sein.
B: ich lege dir mein herz auch so zu füßen.
A: ich verlasse dich, weil du so langweilig bist wie alle.
B: ich habe es gleich gesagt.
A: du wirst nicht darüber hinweg kommen, nie.
B: du bist wie eine lichterkette über der stadt, zeigst auf den himmel, wo der anfängt.

DAS GANZE DRAMA
Vorspiel auf dem Theater
VON JENS ROSELT

Vor dem Vorhang. Zuschauer 1 und Zuschauer 2 sitzen auf Stühlen und blicken ins Publikum.

1: Und? Wie hat es Ihnen gefallen?

2: Geht so.

1: Wie: so?

2: Ich muss das Ganze erst mal sacken lassen.

1: Zum Beispiel die erste Szene, wo die beiden da sitzen und nichts passiert.

2: Das war entsetzlich. Da ist ja nichts passiert.

1: Das war Absicht. Das sollte doch so sein, dass da nichts passierte.

2 (zickig): Ich weiß, dass das so sein sollte. Aber ich fand das eben nicht gut.

1: Dazu ist nicht jeder fähig.

2: Wozu?

1: Etwas gut zu finden. Das ist genauso eine Fähigkeit, die geübt sein will, wie zu kritisieren.

2 (skeptisch): Na, Ihnen scheint es ja gefallen zu haben.

1: Geht so.

2: Wie: so?

1: Ich fand es ganz in Ordnung bis zu dem Moment, wo der dicke Mann aufgetreten ist.

(Der dicke Mann - Zuschauer 3 - tritt auf.)

2 (zu 1): Der, der nackt war?

3: Der war doch nicht nackt.

2: Ich werde doch noch wissen, was ich gesehen habe.

3: Und ich werde doch noch wissen, was ich nicht gesehen habe.

1: Sie können gar nicht wissen, was Sie nicht gesehen haben, wenn Sie es nicht gesehen haben.

2: Der Mann war so was von nackt, nackter geht es nicht. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst nicht hingucken sollte, so peinlich war mir der Auftritt.

1: Darum ging es in der Aufführung doch überhaupt nicht.

3: Woher wollen Sie wissen, worum es in der Aufführung ging?

1: Darum jedenfalls nicht.

2: Warum war er dann nackt, wenn es darum nicht ging?

3: Er war nicht nackt.

2: Also einer von den dreien war nackt, ganz bestimmt.

3: Das stand doch gar nicht im Stück.

1: Haben Sie das Stück denn gelesen?

3: Ich bin berufstätig. Das merkt man doch auch so, dass es nicht drinstand.

2: Heutzutage ist das völlig egal, ob was irgendwo drinsteht. Man kann auch so nackt sein.

3: Nein! Kann man nicht!

2 (springt auf): Doch! (Zieht sich aus) Bitte!

3 (pikiert): Bitte ziehen Sie sich wieder an. Einer von den dreien war nackt. Sie haben recht. Jetzt erinnere ich mich.

2: Nein, nein. Jetzt erinnere ich mich. Ich glaube, das war in einer anderen Aufführung. Sie haben recht. Entschuldigung. (Setzt sich verlegen) Da war keiner nackt.

1: Warum machen Sie hier dann so ein Theater?

2: Ich mache kein Theater. Ich sitze hier doch bloß und guck nach vorne.

1: Aber genau das ist Theater!

(Alle gucken nach vorne.)

3: Und wie fanden Sie den Schluss?

2: Ich dachte, das nimmt überhaupt kein Ende mehr.

3: Ich dachte, es hätte noch gar nicht richtig angefangen.

1: Mir kam der Schluss zu abrupt.

(Dunkel.)

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2003
Erscheinungsdatum 23.10.2003